Während die Experten und alten Hasen bereits ihre eigene “Geheimsprache” entwickelt haben, müssen neue Nutzer aber auch wir als Design- und Entwicklungs-Team erstmal durch den gewachsenen Prozess und die Begriffswelt durchsteigen, um eine gemeinsame Sprache zum Projektaufktakt zu entwickeln.
Die Umsetzung komplexer Anwendungen mit vielschichtigen Prozessen ist wie das Lösen eines Puzzles. Es ist hilfreich, zunächst alle Begriffe und ihre Beziehungen untereinander zu sammeln, um sie dann am Ende in einem Schema zusammenzufügen, um das Gesamtbild zu erkennen.
Mentales Modell: Der Schlüssel zum Verständnis
Wie eine neue Sprache ist auch ein mentales Modell eine Repräsentation der Welt. Es ist die Art und Weise, wie wir die Dinge um uns herum verstehen.
Für eine gute Applikation ist es wichtig, dass alle Benutzer das gleiche mentale Modell vor Augen haben. Wenn alle Nutzer die gleiche Sprache sprechen, können sie sich leichter verständigen.
Für unseren Kunden, die VCDB, haben wir zum Beispiel ein mentales Modell aufgebaut, um das Verständnis für die verschiedenen Begriffe aus dem bisherigen Arbeitsprozess zu entwickeln. Wir haben dabei festgestellt, dass es in der Branche eine Vielzahl von Fachbegriffen (und dafür einige Synonyme) gibt, die für Außenstehende schwer zu verstehen sind. Das mentale Modell hat uns geholfen, diese Begriffe zu übersetzen und miteinander in Beziehung zu setzen.
Hier ein kurzer Ausschnitt aus dem mentalen Modell für die verschiedenen Prüfungen und die Struktur eines Fahrzeugs als Beispiel:
Ein solches Schema kann einerseits die Grundlage für eine gute Navigationsstruktur innerhalb einer Applikation darstellen, aber auch als Sprachführer für die Weiterentwicklung und zur Übersetzung für neue Kollegen dienen.
Information zum mentalen Modell per Card-Sorting erhalten
Um das mentale Modell der Nutzer zu verstehen, setzen wir gern die Methode Card-Sorting ein. Bei dieser qualitativen Forschungsmethode werden den Nutzern Klebezettel mit Begriffen oder Funktionen vorgelegt, die sie dann nach ihren Vorstellungen in Kategorien einteilen.
Jetzt geht das Puzzeln richtig los: Wir geben einen Kontext vor und die Workshop-Teilnehmer legen die Klebezettel dann nach Ähnlichkeiten so zusammen, dass sie für sie einen Sinn ergeben. Am Ende suchen wir gemeinsam einen passenden Namen für die Gruppierungen, die sich aus den gesammelten Begriffen ergeben.
Phasen von Card-Sorting
Definieren
Die Begriffe und Kategorien können entweder aus den im Vorfeld gesammelten Informationen vorbereitet oder gemeinsam mit den Workshop-Teilnehmern definiert werden.
Tipp: Es hilft bei komplexeren Projekten, wenn ein Rahmen abgesteckt wird. Dadurch werden die Workshop-Teilnehmer nicht mit zu vielen unterschiedlichen Themen konfrontiert.
Sortieren
Die gesammelten Begriffe werden nun nach Ähnlichkeit in Spalten sortiert. Die Begriffe, welche am wichtigsten und verständlichsten sind, stehen weiter oben.
Analysieren
Gibt es Muster? Können Begriffe gruppiert werden? Nun sollten die Spalten benannt werden. Sie können z.B. Prozesse, Prozessschritte oder Beteiligte sein. Am Ende wird das Ergebnis noch einmal in der Runde diskutiert und validiert. Sind alle Begriffe und Einordnungen für jeden verständlich? Gibt es Aspekte, die vergessen wurden? Wenn möglich, sollten auch die Beziehungen zwischen den Spalten oder einzelnen Karten definiert werden.
Verwendung der Ergebnisse durch Card-Sorting
Die fertigen Strukturen sind ein wertvoller Schatz an Informationen. Sie können als potenzielle Navigation, als Schaubild zum Verständnis einer komplexen Thematik oder als Grundlage für die Informationsarchitektur eines Produkts oder Systems verwendet werden.
Durch die gemeinsame Arbeit an den Strukturen entwickeln die Workshop-Teilnehmer ein gemeinsames mentales Modell. Dies ist wichtig, um ein Produkt zu entwickeln, das den Bedürfnissen aller Nutzer entspricht.
Weitere Methoden für die Erfassung eines mentalen Modells
Wir können natürlich auch mit anderen Methoden in die Gedankenwelt der Nutzer abtauchen:
Beobachtungen
Wer seinen Nutzer verstehen will, muss ihn beobachten. Im Rahmen einiger Projekte haben wir Endnutzer bei der Arbeit beobachtet und dabei viel gelernt. Zum einen über ihren Arbeitsprozess, zum anderen über ihre Begriffswelt. Das “laute Denken”, bei dem die Nutzer ihre Gedanken laut aussprechen, ermöglicht es uns, ihre Denkweise unmittelbar nachzuvollziehen.
Auch in Nutzertests mit interaktiven Prototypen (Klick-Dummys) verfolgen wir aufmerksam, an welchen Stellen Nutzer möglicherweise bei bestimmten Begriffen oder Prozessschritten ins Stocken geraten.
Interviews
Beobachtungen sind wertvoll, aber manchmal ist es unerlässlich, direkt nachzufragen. Interviews helfen, Unklarheiten im Arbeitsprozess zu klären und die Bedeutung von Begriffen und Zusammenhängen zu ergründen. Interviews können auch im Rahmen eines Workshops oder nach den Beobachtungen durchgeführt werden.
Fazit
Um das mentale Modell der Nutzer zu verstehen, müssen wir sie nicht nur verstehen, sondern auch verstehen, wie sie verstehen. Verstehen Sie? ;)
Es für uns als Lösungsentwickler sehr wichtig, einen Einblick in Ihre Prozesse zu bekommen und die Endanwender kennenzulernen, zu begleiten und zu befragen. Mein Team und ich freuen uns darauf, mit Ihnen in eine neue Welt einzutauchen und gemeinsam Ihre Prozesse zu digitalisieren.